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Die Person

Schleyers steht beispielhaft für die braune Kontinuität des deutschen Imperialismus, sie zeigt exemplarisch, wie bruchlos die Wirtschaftseliten vom Faschismus in die BRD übergewechselt sind. Es ging dabei allerdings nicht nur um Personen, sondern auch um Konzepte und Programme. Hans Martin Schleyer, der schon 1931 der HJ und 1933 der SS beigetreten war, wurde 1941 Leiter des Präsidialbüros des „Zentralverbandes der Industrie für Böhmen und Mähren“ im besetzten Prag. Als SS-Hauptsturmführer sorgte er dort dafür, dass Höchstleistungen für die Kriegswirtschaft des deutschen Imperialismus erbracht wurden. Er war aktiv an der Organisierung des faschistischen „europäischen Großwirtschaftsraums“ beteiligt. Ein Großwirtschaftsraum, der nicht nur extremste Ausbeutung der nach rassistischen Kriterien differenzierten „Randvölker“ bedeutete, sondern auch darauf abzielte, die „arischen“ deutschen Arbeiter durch hochwertigere und besser bezahlte Arbeit Volks-gemeinschaftlich an das System zu binden.

Die

unter dem Titel „Germanisierung der Wirtschaft“ betriebene Etablierung einer differenzierten Ausbeutungsstruktur war untrennbar mit der Nazi-faschistischen Völkermordpolitik verbunden. Bezeichnend für den Rahmen der Tätigkeit Schleyers sind die Aussagen, die der „Beauftragte des Reichsprotektors beim Zentralverband der Industriellen in Prag“ Bernhard Adolf 1940 über „Die Aufgaben der Wirtschaft bei der Eindeutschung des Protektorats Böhmen und Mähren“ niederschrieb: „Es kann angenommen werden, dass es möglich ist, durch Assimilation etwa 50 % des tschechischen Volksbestandes einzudeutschen, dass durch Auswanderung im Laufe von 30 Jahren etwa 10 % diesen Raum verlassen, durch Maßnahmen zur Einschränkung der Geburtlichkeit der tschechische Volksbestand um 3-5 % vermindert wird, durch radikale Ausmerzung der tschechisch-jüdischen Mischlinge (gegebenenfalls auch solcher mit weniger als 50 % jüdischen Blutanteils) mindestens weitere 5 % erfasst werden. Sind auf diese Weise etwa 70 % des tschechischen Volkes in diesem Raum liquidiert, so ist der Rest von 30 %, der zum Großteil aus einem rassischen Untermenschentum besteht, dessen Assimilation unerwünscht ist, soweit in seiner Bedeutung gesunken, dass er ohne Schwierigkeiten ausgesiedelt oder sonst unschädlich gemacht werden kann.“ 1

Der

überzeugte Nazi und SS-Führer Schleyer, war stolz auf seine „in der Kampfzeit anerzogenen Bereitschaft, Aufgaben zu suchen und nicht auf sie zu warten“. In diesem Geiste gestaltete er auch seine letzten Tage im Nazireich: als letzter SS-Kampfkommandant floh er am 7. Mai 1945 mit Geiseln aus der Prager Zivilbevölkerung vor den tschechischen Aufständischen, nicht ohne vorher noch ein Massaker an 41 Zivilisten verübt zu haben: „zwei ältere unbewaffnete Männer, die übrigen Frauen und Kinder, darunter zwei Hochschwangere und ein erst wenige Monate, altes Baby“.2

Der in der Tschechoslowakei zum Tode verurteilte Nazi und Kriegsverbrecher Hans Martin Schleyer konnte nach 1945 in der BRD seine Tätigkeit im Interesse des deutschen Kapitals nahtlos fortführen. Schon Ende der 50er Jahre war er im Vorstand der Daimler-Benz AG mit den Arbeitsgebieten Personalpolitik, Planung und Prognose zu finden. Der erfahrene Stratege und entschlossene Durchsetzer kapitalistischer Macht- und Profitinteressen erklomm kontinuierlich die Karriereleiter, bis er zuletzt in Personalunion als Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) und der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände fungierte.

Mit den

Erfahrungen der faschistischen „Volksgemeinschaft“ aus „Betriebsführern“ und „Gefolgschaft“ im Hinterkopf agierte Schleyer als autoritärer Kapitalvertreter, der jede klassenkämpferische Bewegung entschieden bekämpfte, während er gleichzeitig auf die Integration des deutschen Arbeiters in das System der Lohnsklaverei orientiert war. Schleyer war hauptverantwortlich für 300.000 Aussperrungen gegen den Metallarbeiter-Streik 1963 in Baden-Württemberg, Anfang der 70er Jahre trat er aktiv gegen die gewerkschaftliche Mitbestimmung auf und forderte eine härtere Gangart gegen jugendliche Arbeitslose, gleichzeitig unterschrieb er 1973 sozialpartnerschaftlich einen Rahmentarifvertrag der auch verbesserte Arbeitsbedingungen für Facharbeiter vorsah.

Die Deregulierung der Ausbeutungsverhältnisse auch in den Metropolen hat inzwischen Dimensionen erreicht, die dem „Model Deutschland“ seine sozialpartnerschaftliche Stabilisierung immer mehr zu entziehen drohen. Darum konzentrieren sich die bürgerlichen Parteien auf ihr Wesentliches: die Sorge um die „innere Sicherheit“ des kapitalistischen Staates. Trotz, oder vielmehr mit der chauvinistischen Hetzte des „Standortes Deutschland“ wird die alte Kapitalismusstrategie vom deutschen Imperialismus unter den veränderten Bedingungen intensiviert weiterverfolgt: „Unsere Zukunft als Industrieland ist die eines Systemkopfes, aber nicht die eines Herstellers von Profilstahl und eines Hemdennähers.(…) Der Weltmarkt wächst zu einer Einheit, und daher müssen wir die Arbeitsteilung unter den Ländern neu organisieren, nach dem Motto: Intelligenz in Deutschland, mehr Komponenten von draußen und mehr Montage vor Ort, im In- und Ausland. (…) Die Tschechen etwa haben pro Kopf hundert Prozent mehr Rohstahlkapazität als der EG-Schnitt. Und sie produzieren mit einem Zehntel der Löhne. (…) Für mich kommt (als Land für lohnintensive Fertigung) derzeit die Tschechoslowakei in Frage…“ (Unternehmensberater Berger 1992 in einem Spiegel-Interview)

Schleyer war ein exponierter Vertreter dieser imperialistischen Politik. Nach seiner Hinrichtung durch das RAF-Kommando Siegfried Hausner konnte er sie nicht mehr weiterführen.

Das, was

der deutsche Imperialismus in Osteuropa mit dem Zweiten Weltkrieg nicht erreichen konnte, bzw. 1945 unter den Schlägen der Sowjetarmee verlor, wird heute mit ökonomischer Expansion versucht. Die Bundeswehr steht in zweiter Linie bereit und sichert vorerst über militärische Einbindung in osterweiterten NATO-Strukturen diese Politik ab. Im Inneren betreiben Schleyers Nachfolger wie z.B. BDA Chef Hundt aktiv die Beseitigung bisheriger sozialpolitischer Standards und arbeiten an der erweiterten Etablierung ungesicherter Niedriglohnverhältnisse. Die Bekämpfung dieser repressiven und aggressiven Politik des deutschen Imperialismus nach innen und außen ist nach wie vor notwendig!


1) zitiert nach: Die Vergangenheit warnt, Dokumente über die Germanisierung- und Austilgungspolitik der Naziokkupanten in der Tschechoslowakei, ORBIS, Prag 1960
2) siehe: Bernt Engelmann: Rechtsverfall, Justizterror und das schwere Erbe, Die unsichtbare Tradition, Pahl-Rugenstein, Köln 1989

Quelle:
Auszug aus einem Flugblatt aus dem Jahr 1997: „20 Jahre Deutscher Herbst“
Von: Rote Hilfe, Gruppe Venceremos, Rote Antifaschistische Initiative (AA/BO), Kommunistische Autonome Gruppen, Einzelpersonen