Donnerstag. Vor dem Discounter mit vier Buchstaben fiel mir ein Mensch mit zwei Hunden auf. Weil wir lange auch einen Begleiter auf vier Pfoten hatten. Für uns war sie so was wie ein mentaler Führer. Leider haben die echten Modelle ja nur eine von der Natur gegebene begrenzte Haltbarkeit. Im Laden war wieder mal die Hölle los. Kein Durchkommen in den Gängen. Die Wochenangebote sind teilweise nicht mehr verfügbar. Und überhaupt, können die nicht mal in der Nacht, wenn der Laden zu ist, die Regale auffüllen? Das ist doch so kein Einkaufserlebnis. Auch eine Geschwindigkeitsbegrenzung für Einkaufswagen würde ich begrüßen. Und für alle im Laden verständliche, einheitliche Vorfahrtregeln, die für alle gelten.
Einkauf erledigt. Jetzt nur raus aus dieser Hölle. Der Mensch mit den Hunden war immer noch da. Alle machten einen nervöseren Eindruck als am Beginn unserer zufälligen Begegnung. Aber beim Näherkommen wirkten die Hunde zutraulich und schauten einen freundlich an. Sind das deine? Das eine ist doch ein belgischer Schäferhund, wenn ich mich nicht täusche, das andere ein Terrier, oder? Ja, richtig, ein irischer Terrier! Braucht ihr vielleicht Hilfe? Na ja, es sind eigentlich nicht meine. Habe nur einem Nachbarn einen Gefallen getan. Die mussten wahrscheinlich mal müssen. Ja, das auch, aber noch viel blöder ist, ich warte ja schon fast eine Stunde hier und hab keine Zeit mehr. Hab noch andere Termine. Worauf wartest du denn? Na, die Hunde sollten hier am Treffpunkt abgeholt werden. Kannst du nicht bei denen anrufen? Nee, ich kenne die gar nicht. Irgendwelche Leute aus Freiburg oder so, keine Ahnung. Und dein Nachbar? Erreiche ich dummerweise auch nicht. Ok, wo müssen die beiden denn hin? Holt einen Zettel aus der Tasche. Porte Dauphine lese ich, und dazu eine Mobilnummer, mehr nicht. Wo soll das sein, das klingt sehr französisch? Ja, das ist eine U-Bahn-Station in Paris! Und du hast nur diese Telefonnummer? Ja. An diese Nummer soll ungefähr eine Stunde vor Ankunft über Signal „Flight was canceled“ gesendet werden. Oooh, ha. Überlege kurz und sage, morgen wollten wir ein paar Tage in den Urlaub fahren. Denke, wir übernehmen das. Echt jetzt? Kein Scheiß? Du bringst die Hunde zu dem Treffpunkt in Paris? Ja, die sind doch voll pflegeleicht, dafür hab’ ich einen Blick. Sag deinen Leuten alles ok. Denke, Samstag wird es werden. Kein Problem. Willst du Geld dafür, Benzinkosten? Nee, das passt schon. Kein Thema. Heute Nacht bleiben sie bei uns in der Wohnung, und am Freitag in der Früh fahren wir los. Vielen Dank. Ich kann mich doch darauf verlassen? Kannst du. Wirst du sehen. Na dann, vielen Dank und gute Reise.
Sag, haben wir jetzt gleich zwei Hunde? Im Ernst? Nicht wirklich, nur für heute Nacht. Und dann? Wir bringen sie nach Paris. Nach Paris? Ja, morgen früh fahren wir los. Wollten doch ohnehin in den Urlaub fahren. Dachte ich auch, dachte es war Maastricht? Ja, kleiner Umweg, sorry. Es war eine Notsituation. Notsituation? Ja, erzähle ich dir auf der Fahrt. Und kennst du die Leute in Paris? Nee. Keine Ahnung. Hab nur eine Mobilnummer. Na dann hoffe ich, das wird klappen. Wird schon. Und wo sind die beiden überhaupt her? Da war jemand vor dem Aldi in Breisach. Name? Keine Ahnung. Aber die Hunde machten einen vertrauten Eindruck.
Freitag. In aller Frühe machten wir uns mit den Hunden auf den Weg in die französische Hauptstadt. Von unterwegs schickten wir über Signal die Nachricht „Flight was canceled“ an die Mobilnummer. Die nächsten hundert Kilometer blieb das Telefon still. Leichte Panik kam auf. Aber dann kicherte das Mobiltelefon. „Will be 10 minutes later“ war auf dem Display zu lesen. Na siehste, wird alles gut. Hoffentlich. Hauptsache, die Hunde kommen zu ihrem Besitzer. Zeitig waren wir am Treffpunkt Metrostation Porte Dauphine eingetroffen. Nach zwanzig Minuten Warten kamen dann zwei Menschen mit freudigem Blick direkt auf uns zu. Blieben kurz stehen, schauten uns mit einem Lächeln an. Wortlos griffen sie nach den Hundeleinen. Bevor sie in der Menschenmenge mit den Hunden wieder verschwanden, hörten wir noch die Worte: Muito obrigado camarada. A luta continua! Venceremos! Das war doch portugiesisch? Ja, das hörte sich so an. Und gleich waren die Erinnerungen an unsere Zeit in Olhaho wieder wach. Eine tolle Sprache und sehr freundliche Menschen, die Portugiesen.
Ohne die Hunde sind wir noch durch das Viertel gelaufen. An einem Kiosk in der Avenue Bugeaud gab es deutsche Zeitungen in der Auslage. Auch diese deutsche mit den vier großen Buchstaben. Neben der Aufmacher-Überschrift heißt es: „Donnerstag, RAF-Fahndung.“ Mehrere Wohnungen in Freiburg, Breisgau durchsucht. Auch Spürhunde waren im Einsatz. Sag mal, hatte nicht dieser gesuchte Genosse aus Berlin verschiedene Hunde? Angeblich ja.